Digita­li­sierung und Mobilität

Artikel aus dem Magazin zum 20jährigen Jubiläum der BEG (Stand: November 2016)

Die Digita­li­sierung durchdringt zunehmend sämtliche Lebens­be­reiche – sowohl beruflich wie auch im Privaten. In der Folge entstehen innovative Lösungen und ganz neue Bedürfnisse der Nutzer. Dies gilt insbesondere für den Bereich der Mobilität. Die Digita­li­sierung führt zu neuartigen Mobili­täts­kon­zepten, verändert aber auch die Erwartungen der Nutzer an die Mobilität. Welche Trends hier erkennbar sind und welche Rolle der Bahnverkehr zukünftig dabei einnehmen könnte, skizziert der Gastbeitrag von Dr. Rahild Neuburger.

In Bezug auf Mobilität werden folgende Trends wiederholt diskutiert: autonomes Fahren, intelligente, vernetzte Mobili­täts­in­fra­strukturen (auch als Basis für autonomes Fahren), Sharing-Systeme (zum Beispiel Car- und Bike-Sharing) sowie Online­platt­formen oder Apps zur Verbes­serung des Kunden­service, zum Beispiel durch kunden­ori­en­tierte, indivi­dua­li­sierte Mobili­täts­an­gebote. Es entstehen übergreifende Mobili­täts­systeme, bei denen nicht mehr die Nutzung eines einzigen Verkehrs­mittels im Vordergrund steht, sondern vielmehr die Frage, wie man unter Nutzung welcher Verkehrs­mittel am besten von A nach B kommt. Auf der Basis verfügbarer Informa­tionen über den Nutzer sowie vorhandener Echtzeitdaten zur aktuellen Auslastung der Infrastrukturen lässt sich ein indivi­duelles Mobili­täts­angebot konfigu­rieren. Im Idealfall verknüpft es existierende Transport­an­gebote (zum Beispiel Bahn, selbst­fahrende Robot-Taxis, öffent­licher Nahverkehr, Sharing-Systeme). Die Kunden sind zufrieden, da sie indivi­duelle, auf sie zugeschnittene Lösungen erhalten, und zusätzlich wird die Auslastung der Infrastrukturen optimiert. In einem derartigen Mobili­täts­konzept kommt dem Bahnverkehr als einem der Kernelemente eine entscheidende Rolle zu. Diese Rolle innerhalb eines solchen Mobili­täts­systems muss allerdings weiter­ent­wickelt bzw. (neu) definiert werden.

>> Es entstehen übergreifende Mobili­täts­systeme, bei denen nicht mehr die Nutzung eines einzigen Verkehrs­mittels im Vordergrund steht.

Welche Bedürfnisse haben die Reisenden?

Relevant scheinen dabei auch die zukünftigen Bedürfnisse der Kunden an Mobilität. Vor dem Hintergrund der Zukunfts­studie des MÜNCHNER KREISES „Innova­ti­ons­felder der digitalen Welt – Bedürfnisse von übermorgen“ wird deutlich: Der Nutzer hat mehr Wünsche, als nur von A nach B zu kommen. In einer Befragung von insgesamt 7.278 Privat­personen zwischen 18 und 70 Jahren in sechs Ländern (USA, Brasilien, China, Indien, Südkorea und Deutschland) kristal­li­sieren sich folgende, sogenannte Bedürf­nis­muster heraus. Die gewählte Reihenfolge entspricht der statistisch ermittelten Bedeutung der Bedürf­nis­muster bei den befragten Nutzern:

  1. Zeit für andere Aktivitäten: Gewünscht sind Mobilitätslösungen mit der Möglichkeit, sich auf andere Aktivitäten wie Telefonieren, Arbeiten, Kommunizieren oder Ausruhen zu fokussieren.
  2. Von-Tür-zu-Tür-Flexibilität: Die Nutzer möchten schnell und flexibel von Tür zu Tür kommen und sich unabhängig fühlen. Eine vorherige Planung ist nicht gewünscht; wichtig ist es allerdings, die Kontrolle über die nach den eigenen Präferenzen erstellte Route zu behalten.
  3. Hightech und 1.-Klasse-Komfort: Die Nutzer wünschen sich zudem ein hohes Maß an Service – kombiniert mit moderner Technologie. Pünktlichkeit, Zugriff auf aktuelle Nachrichten, guter Service, direkter Zugang zum Internet, Schnelligkeit wie auch personalisierte Vorschläge sind hier relevant.
  4. Umweltfreundlich durch die Stadt: Gewünscht werden Mobilitätslösungen, die Nachhaltigkeit mit Flexibilität und Einfachheit in der Nutzung kombinieren.
  5. Entspannend und sorglos: Die Nutzung von Verkehrsmitteln soll sorglos, angstfrei und entspannend sein.
  6. Pragmatischer Transport: Nutzer wünschen sich die problemlose Abwicklung des Transports – sowohl von schweren, unhandlichen Sachen als auch von Personen.

Das Bedürfnis nach Indivi­dualität und Privat­sphäre zieht sich durch nahezu alle Bedürf­nis­muster. Differenziert nach Alters­gruppen wurde zudem deutlich, dass insbesondere die jüngere Generation ihre Reisezeit gerne für andere Aktivitäten nutzen möchte. Allerdings gestanden alle Befragten zum Befragungs­zeitpunkt nur dem (selbst­fah­renden) Auto zu, all diese Bedürfnisse auch zu erfüllen. Alle anderen Verkehrs­mittel fielen hier vergleichsweise deutlich ab.

Aus heutiger Perspektive ist dies nicht ganz nachvoll­ziehbar, liegen doch gerade für Verkehrs­träger wie den Bahnverkehr genau hierin erhebliche Chancen. Denn zum einen werden sich selbst­fahrende Autos zumindest in absehbarer Zeit noch nicht so schnell durchsetzen. Zum anderen bedeutet die Ausbreitung von selbst­fah­renden Autos noch nicht, dass der Verkehrsfluss effizienter wird. Im Gegenteil: Auch sie werden – zumindest aus heutiger Sicht – noch häufig im Stau stecken. Dies gilt gerade für Städte. Insofern liegt in der Erfüllung dieser Bedürfnisse gerade für den Bahnverkehr ein erhebliches Potenzial – wenn es gelingt die Voraus­set­zungen für die Befürfnisse 1 bis 3 zu erfüllen.

>> Der Nutzer hat mehr Wünsche, als nur von A nach B zu kommen.

Reisezeit für andere Aktivitäten nutzen

Nach den Erkennt­nissen dieser Befragung werden sich zukünftige Mobili­täts­konzepte vor allem dann durchsetzen können, wenn das Bedürfnis nach Privat­sphäre in Kombination mit Flexibilität, Nachhal­tigkeit und Sorglo­sigkeit sowie Zeit für andere Aktivitäten realisiert ist. Die Erfüllung dieses Zusatz­nutzens wird zukünftig eine noch größere Rolle spielen, wenn man die Entwick­lungen im Bereich der (mobilen) Arbeit und der (mobilen) Services in die Überle­gungen einbezieht.

Je mobiler Arbeits­prozesse gestaltet werden, desto stärker entwickeln sich Transport­zeiten zu Arbeits­zeiten – ein Phänomen, das sich heute schon beobachten lässt. Gleich­zeitig erlauben mobile Services immer mehr, Aktivitäten des Alltags wie Einkaufen, Bestellen, Termin­ver­ein­barung, Buchen von Reisen oder auch Weiter­bildung unterwegs zu erledigen. Transport­zeiten lassen sich somit zukünftig noch besser zur Organi­sation des Alltags nutzen. Voraus­setzung hierfür sind Konnek­tivität, die Bereit­stellung des gewünschten Freiraums sowie das Angebot zusätz­licher Services. Hierin könnte zukünftig eine große Chance für den Bahnverkehr liegen.

>> Je mobiler Arbeits­prozesse gestaltet werden, desto stärker entwickeln sich Transport­zeiten zu Arbeits­zeiten. Darin liegt eine große Chance für den Bahnverkehr.

Wer besetzt die Schnitt­stelle zum Kunden?

Vor dem Hintergrund der Trends der Digita­li­sierung einerseits sowie der veränderten Nutzer­be­dürfnisse andererseits erscheint der Bahnverkehr somit langfristig als ein äußerst attraktives, tragfähiges Konzept – als Teil eines ganzheit­lichen Mobili­täts­systems, das die Bahn, andere Verkehrs­träger und intelligente Services verknüpft. Noch nicht geklärt ist die Frage, wer langfristig die strategisch wichtige Schnitt­stelle zum Kunden übernimmt.

In der bisherigen Mobili­tätswelt hält so gut wie jeder Verkehrs­träger direkten Kontakt zum Kunden. In einem übergrei­fenden Mobili­täts­system können prinzipiell mehrere Player die Rolle des Konfigu­rators übernehmen: Unternehmen wie Google oder Apple, da sie den erforder­lichen Zugang zum Kunden besitzen; Infrastruk­tur­un­ter­nehmen, die die erforder­lichen intelli­genten Netzin­fra­strukturen bereit­stellen; noch unbekannte Player, indem sie an der Kunden­schnitt­stelle eine neue Plattform realisieren, oder etablierte Player, indem sie sich zu übergrei­fenden Mobili­täts­dienst­leistern entwickeln.

Auch hierin liegt letztlich eine große Chance für Anbieter im Bahnverkehr. Voraus­setzung ist, dass es gelingt, die Kunden­schnitt­stelle weiterhin zu besetzen beziehungsweise auszubauen und durch die Bündelung mit anderen Mobilitäts- und Service­an­bietern passende Mobili­täts­an­gebote für den Nutzer zu generieren.

Icon Glühbirne

Die hier zitierte Studie wurde vom MÜNCHNER KREIS erstellt, der das Ziel verfolgt, Orientierung in der digitalen Transfor­mation zu geben: www.muenchner-kreis.de. Dr. Rahild Neuburger ist Geschäfts­führerin des MÜNCHNER KREIS.

Dr. Rahild Neuburger
ist seit dem Studium und der Promotion in BWL an der Fakultät für Betriebs­wirt­schaft der Ludwig-Maximilians-Universität München tätig und dort verant­wortlich für Marketing/Kommuni­kation. Forschungs­schwer­punkte sind Implika­tionen der Digita­li­sierung auf Arbeits- und Organi­sa­ti­ons­strukturen und damit zusammen­hängende Fragen hinsichtlich Führung, Bildung, Change-Management sowie Arbeits­me­thodik. Zudem ist Rahild Neuburger Geschäftsführerin des MÜNCHNER KREIS e. V. und hier unter anderem im langjährigen Projekt „Zukunfts­studie“ aktiv.

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